Geplante Erweiterung des Mergelabbaus bei Misburg und Anderten

Im Juli 2010 hatte die Firma Heidelberg Cement beantragt, die bestehenden Steinbrüche bei Misburg und Anderten am östlichen Stadtrand von Hannover um etwa 132 Hektar zu erweitern, um so Rohmaterialvorräte bis zum Jahr 2075 zu sichern.

Im Rahmen der Planauslegung hat der BUND Region Hannover in einer umfangreichen gemeinsamen Stellungnahme mit dem Naturschutzbund Deutschland (NABU) zum Vorhaben Position bezogen.

Gegen das Vorhaben in der beantragten Form haben wir erhebliche Bedenken vor allem wegen unüberwindbaren Konflikten mit der europäischen FFH-Richtlinie, weitgehend fehlender Abarbeitung der Eingriffsregelung, erheblichen Sicherheitsproblemen und Verstößen gegen die Wasserrahmenrichtlinie.

Die vollständige Stellungnahme kann am Ende dieser Seite heruntergeladen werden.

Nachfolgend sind unsere Hauptkritikpunkte zusammengefasst. 

FFH-Gebiet und Grenzen der nördlichen Erweiterung

Die Abbauerweiterung im Norden würde bis an den Rand des Misburger Waldes gehen, der ab 220 m nördlich des geplanten Grubenrandes als FFH-Gebiet geschützt ist. Bereits die im hydrogeologischen Gutachten prognostizierten Bodenwasserabsenkungen wären mit den Erhaltungszielen des Gebietes nicht vereinbar, weil sie allein schon zum Verschwinden des geschützten Lebensraumtyps führen können.

Dazu kommt, dass die Mergelverwitterungsschicht, die den oberen geringmächtigen quartären Grundwasserleiter vom Festgesteinsgrundwasserleiter trennt und dadurch laut Gutachten stärkere Absenkungen in den bodennahen Schichten verhindern soll, durch die 40.000 Sprengbomben, die im 2. Weltkrieg um Misburg abgeworfen wurden, vermutlich teilweise beschädigt ist. In den Antragsunterlagen sind Veränderungen des Wasserhaushalts durch Bombentrichter, die sich bei den umfangreichen Wiedervernässungsversuchen der Stadt Hannover im Altwarmbüchener Moor als eines der zentralen Probleme erwiesen haben, völlig unberücksichtigt geblieben.

Die Prognosen in den Antragsunterlagen beruhen im Übrigen nur auf der bloßen Vermutung, dass Beobachtungen an weiter entfernten Stellen, außerhalb des Antragsgebietes, sich auch auf die Verhältnisse am Rande des FFH-Gebietes übertragen lassen. Gleichzeitig wird in den Gutachten aber eingeräumt, dass die Durchlässigkeit des Festgesteins wegen zahlreicher Klüfte und Trennflächen sich sehr unregelmäßig darstellt und auf kleinstem Raum um den Faktor Tausend und mehr wechseln kann. Durch Verkarstungserscheinungen können lokal sehr große Wasserwegsamkeiten gegeben sein, was sich auch an stellenweise starken Grundwasseraustritten in den bestehenden Mergelgruben zeigt. Dies bedeutet, dass der Grundwasserabsenkungstrichter im Bereich des FFH-Gebietes auch deutlich größer sein kann als vorhergesagt.

Das Vorhaben ist deshalb nicht mit den Schutzzielen des FFH-Gebietes verträglich und somit unzulässig. Hier ist auch zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des EuGH und des BVerwG die Planfeststellungsbehörde erhebliche Auswirkungen auf das FFH-Gebiet völlig ausschließen muss, das heißt, die vorliegenden gravierenden Erkenntnisdefizite gehen zu Lasten des Projekts.

Eine Beeinträchtigung des FFH-Gebietes könnte voraussichtlich vermieden werden, wenn nach Norden die Abbaugrenzen gemäß der GENAMO-Vereinbarung der Teutonia Zement AG mit der Stadt Hannover von 1999 eingehalten würden. (Fläche "M3" auf der Karte.) Auch Ziele der Landschaftsplanung sprechen dafür, den nördlichsten Teil des Antragsgebiets vom Abbau freizuhalten. Das Interesse der Antragstellerin, die nach eigenen Angaben eine Planungssicherheit von „ca. 30 Jahren“ (Unterlagen zur Antragskonferenz) bzw. „über 40 Jahre hinaus“ (Antragsunterlagen) benötigt, wäre auch mit dieser Verkleinerung gewahrt, da die Vorräte dann nach unserer Schätzung rechnerisch 55 Jahre ausreichen. Danach wären immer noch konfliktärmere Alternativen vorhanden.

Eingriffsregelung

Die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung ist vollkommen unzureichend abgearbeitet.

Erhebliche Beeinträchtigungen sind in die Bewertung nicht eingegangen und werden nicht vermieden oder kompensiert. Das betrifft vor allem die Lebensräume der heutigen Grube Süd, die landesweite Bedeutung für den Naturschutz haben und durch Flutung vernichtet werden sollen und die zu erwartenden gravierenden Schäden an schutzwürdigen Wald- und anderen Gehölzbeständen in der Nähe der Grubenränder.

Der bei weitem größte Teil der Kompensation soll durch „Wanderbiotope“ erbracht werden. Obwohl diese Flächen zu keinem Zeitpunkt mehr als 5,2 ha Größe haben, gehen sie in die Bilanzierung als eine Ersatzmaßnahme von 62,4 ha Größe ein, wofür jede logische und fachliche Grundlage fehlt. Sie würden außerdem bei Abbauende durch Flutung zerstört, so dass sie nicht als Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen gerechnet werden können, sondern allenfalls Vermeidungsmaßnahmen sind. Die Eingriffe würden daher zum weitaus größten Teil überhaupt nicht kompensiert.

Nach dem verbindlichen Regelungen für die Eingriffsregelung im Bodenabbau müssten deshalb entweder ausgedehnte Flächen für Ersatzmaßnahmen außerhalb des Antragsgebiets bereitgestellt werden oder die gesamte Abbaufläche einschließlich der heutigen Gruben Nord und Süd müssten nach dem Abbau entsprechend den Zielen des Naturschutzes entwickelt werden. Ziele des Naturschutzes sind hier die Erhaltung und Entwicklung der zum Teil bereits vorhandenen besonders schutzwürdigen Arten und Lebensgemeinschaften, insbesondere der kalkreichen Sümpfe und der kalkreichen Kleingewässer. Dazu müsste die Wasserhaltung fortgesetzt werden.

Zu beanstanden sind u.a. auch viel zu späte Umsetzungen der Maßnahmen („frühestens 2075“ Anlage von Wald als größter externer Kompensationsmaßnahme), vermeidbare Beseitigungen teils seltener und gefährdeter gebietsheimischer Gehölzarten, grundlegende fachliche Mängel bei der geplanten Anlage von artenreichem Grünland und von einem Amphibiengewässer sowie fehlendes begleitendes Monitoring.

Geländerippe

Die Antragstellerin beabsichtigt, zwischen der heutigen Grube Nord und der nördlichen Erweiterungsfläche eine rund 30 m hohe und 1 km lange „Geländerippe“ von nur 84 m Breite stehen zu lassen, die als Staudamm für die nördliche Abbaufläche, die geflutet werden soll, dienen würde. Auf dem Damm würden zwei Fließgewässer (Wietzegraben und sog. Hochwasserentlaster) und mehrere Versorgungsleitungen, darunter auch eine Öl- und eine Gasleitung, verlaufen.

Nach den vorgelegten Standsicherheitsgutachten ist die Böschungsbruchsicherheit erheblich bei Durchsickerung entlang von Schwächezonen reduziert. Bereits heute gibt es starke Wasseraustritte im Bereich des geplanten Dammes. Eine weitere mögliche Gefährdung ist die Erosion der sehr steilen Böschungen, und zwar sowohl luftseitig als auch wasserseitig. Ein großes Risiko geht zudem von den Führung der beiden Fließgewässer auf dem Staudamm aus. Dies zeigen auch die teils schweren bereits stattgefundene Wassereinbrüche des Hochwasserentlasters in die Grube HPC II.

Die Gutachter verlangen daher, mit Begehungen durch fachkundige Personen die Geländerippe regelmäßig zu kontrollieren und bei Gefahren für den Damm Gegenmaßnahmen zu ergreifen, zum Beispiel den Damm wasserseitig abzudichten. Dies muss während des Abbaus und der Flutung der nördlichen Erweiterungsfläche gewährleistet werden, also in den nächsten 130 Jahren, aber auch auf unbegrenzte Zeit danach.

Aus unserer Sicht ist es unverantwortlich und auch unzulässig, ohne Not, allein um Kosten für die Verlegung der Leitungen und der Fließgewässer zu sparen, einen hochriskanten Zustand zu hinterlassen, der bis in alle Zukunft regelmäßige Kontrollen und Interventionen erfordert.

Abbaugewässer und Sicherheit der Böschungen

Laut Text des landschaftspflegerischen Begleitplans sollen die beiden sehr großen geplanten Abbaugewässer vielfältige Böschungen, teilweise naturnahe Flachwasserzonen und bereichsweise unregelmäßige und klein strukturierte Uferlinien erhalten. Die zeichnerischen Darstellungen zeigen aber bei maximaler Ausbeutung der Grundstücke einheitliche sehr steile Böschungen ohne Flachwasserzonen und schnurgerade Uferlinien. Auf einen Gestaltungsplan wurde, angeblich in Absprache mit der Genehmigungsbehörde, verzichtet. Die Herrichtung von Abbauflächen nach Ende des Abbaus muss aber in Antrag und Planfeststellungsbeschluss konkret in Text und Karte beschrieben werden. Sofern daran festgehalten wird, Gruben voll laufen zu lassen, hätte die Planfeststellungsbehörde sonst keine Handhabe, eine rein technische, völlig naturfremde Gestaltung zu verhindern.

Die Böschungen wären mit einer Neigung von 1:1 (1:2 bei Überwasserböschungen) sehr steil ausgeprägt. Nach den Standsicherheitsgutachten kann ein rund 20 m breiter Geländestreifen durch Erosion der Böschungen beeinträchtigt werden, wodurch angrenzende Flächen und bauliche Nutzungen gefährdet werden. Sicherungsstreifen von 20 m sind aber nur entlang der Personenbahn Hannover-Lehrte (ICE-Strecke), der BAB 7 und der größeren Wasserläufe vorgesehen, ansonsten sollen sie 6 m breit sein.

Deshalb müssen laut Standsicherheitsgutachten, ebenso wie an der Geländerippe, an allen Grubenböschungen auch nach dem Abbau und nach dem Vollaufen der Gruben regelmäßig von Fachleuten Kontrollen aller Grubenböschungen durchgeführt und ggf. Sicherungsmaßnahmen veranlasst werden.

Auch diese Planungen sind vollkommen inakzeptabel. Böschungen und Sicherungsstreifen zu Bodenabbauflächen müssen so gestaltet werden, dass die Böschungen ohne technische Sicherungen und Interventionen auf Dauer standsicher sind. Das finanzielle Interesse der Antragstellerin auf maximale Ausnutzung der Grundstücke rechtfertigt keinen Zustand nach dem Abbau, der - nicht nur über Jahrhunderte, sondern auf unbegrenzte Zeit - aufwendige regelmäßige Kontrollen und ggf. Sicherungsmaßnahmen nötig macht.

Besondere Risiken bestehen bei der Bahnlinie und der Autobahn, da hier die Möglichkeit besteht, dass entlang von Störungsflächen Teile der Böschungen insgesamt abbrechen. Im Steinbruch Nord kam es bereits wiederholt zu größeren Rutschungen und Böschungsbrüchen und weit über den Abbaubereich hinausgehenden Rissbildungen an der Geländeoberkante. Die Gutachter können solche Risiken auch im Bereich der Bahn und der Autobahn nach gegenwärtigem Kenntnisstand nicht ausschließen. Das bedeutet aber, dass auf Basis der heutigen Kenntnisse für diese Bereiche kein Bodenabbau planfestgestellt werden kann.

Wietzegraben

Der Antrag sieht vor, den Wietzegraben unter Beibehaltung oder Verschlimmerung des heutigen technischen Ausbaus auf der „Geländerippe“ verlaufen zu lassen. Damit würde der nach der Wasserrahmenrichtlinie spätestens bis zum Jahre 2027 geforderte „gute ökologische Zustand“ auf Dauer verhindert. Eine rechtskonforme Planfeststellung des Abbaus ist deshalb nur möglich, wenn der Wietzegraben nach Norden verlegt und ihm ein ausreichender Entwicklungskorridor für einen naturnahen Ausbau belassen wird. Die Aussage im wasserwirtschaftlichen Gutachten, dass bei einer Verlegung des Wietzegrabens der Lauf zu lang und das Gefälle zu gering wäre, beruht darauf, dass ausschließlich eine unnötig umwegige Variante geprüft wurde.

Der Wietzegraben leidet bereits heute unter zeitweiligem Trockenfallen, weil Wasser aus seinem Einzugsgebiet zum großen Teil im Bereich der nördlichen Mergelgrube in den Stichkanal Misburg abgeleitet wird. Trotzdem soll dieser Zustand laut Antrag beibehalten werden. Mit der Abbauerweiterung würde sein Einzugsgebiet zusätzlich reduziert. Diese weitere Verschlechterung kann nicht hingenommen werden. Im Zuge seiner Verlegung muss der Wietzegraben wieder an sein Einzugsgebiet angeschlossen werden.

Der Antrag sieht vor, im Bereich der südlichen Grube das dann erheblich stärker anfallende Pumpwasser in den Wietzegraben und im Bereich der nördlichen Grube in den Stichkanal Misburg zu leiten. Allerdings haben Messungen im Bereich des Höverschen Wietzegrabens nach Einleitung der dortigen alkalischen Grubenwässer nachgewiesen, dass die pH-Wert-Schwankungen im Gewässer zu einer biologischen Verödung geführt haben. Dieses Problem ist in den Antragsunterlagen nicht geprüft worden. Wenn die noch nachzuholende Prüfung tatsächlich ergibt, dass mit der Einleitung eine Verbesserung der Gewässergüte zu erwarten ist, dann ist auch im Norden eine Ableitung des Pumpwassers in den Wietzegraben zu verlangen.

Verbleib des Abraums und bestehende Rekultivierungsauflagen

Rund ein Zehntel des Abraums soll laut Antrag in einem alten Steinbruch auf dem Werksgelände von HC entsorgt werden, wobei nicht offengelegt wird, welcher Steinbruch gemeint ist, ob mit der Verfüllung Eingriffe verbunden sind und was seine Rechtsgrundlage ist. Die restlichen anfallenden Mengen sollen auf den Böschungen und Bermen im bestehenden Bruch Nord eingelagert werden.

Wie auch in den Antragsunterlagen zutreffend dargestellt ist, entsprechen die noch gültigen Rekultivierungsauflagen für den bestehenden Bruch Nord und Süd von 1983, die eine land- und forstwirtschaftliche Nachnutzung mit der Anlage von Äckern, Feldgehölzen und Hecken auf den Grubensohlen vorsehen, nicht mehr den heutigen Zielen des Naturschutzes. Sie müssten deshalb auch für den Bruch Nord im Rahmen des vorliegenden Verfahrens angepasst werden.

Sofern daran festgehalten wird, ein Teil der Gruben nach der Ausbeutung zu fluten, sollte der Abraum genutzt werden, um weniger steil geneigte Böschungen mit Flachwasserzonen anzulegen. Falls keine Gruben geflutet werden sollen, sollte eine andere Verwendung für den Abraum gefunden werden, da gerade die Steinbruchböschungen hohe Lebensraumqualitäten besitzen können. Zumindest sollten ausgedehnte Bereiche ohne Abdeckung der Böschungen festgelegt werden.

 

Die vollständige Stellungnahme können Sie hier als PDF herunterladen.

 



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